Thorsten Schlaak & Manfred Schwarz
Was haben wohl Organisationen und Sahne gemeinsam? Vielleicht mehr als es auf den ersten Blick scheint. Aber hier soll es nicht nur um Sahne gehen – Hier folgen 10 Denkanstöße zum Wesen von „Organisation“.
Über Organisationen ist nahezu so viel geschrieben worden, wie in Organisationen selbst, so hat man zumindest den Eindruck. Eine Schnellrecherche zeigt, dass allein im deutschsprachigen Raum heute mehr als 4.300 Titel zum Thema Organisationstheorie lieferbar sind. Was also wäre dem hinzuzufügen? Bei den systemischen Demonstrationen soll es ja darum gehen, Gedanken zu initialisieren. In diesem Sinn wollen wir nicht wiederholen, was Sie an anderer Stelle mehr oder weniger komprimiert lesen können oder bereits nachgelesen haben (z. B. Weick, 1979, dt. 1995; Simon, 2007; Luhmann, 2011). Stattdessen konzentrieren wir uns auf zehn poietische Denkanstöße zum Thema »Organisation«, die Sie bitte als Anregung verstehen, um Ihr eigenes Organisationsverständnis zu reflektieren und vielleicht mit Ihren konkreten Alltagserfahrungen abzugleichen.
Zum Weiterdenken:
Zehn Denkanstöße zu Organisationen
1. Es geht nicht um die Organisation, sondern um den Prozess des Organisierens. Es geht nicht um ein konstruiertes Gebäude, sondern eher um eine formbare, vielleicht zähflüssige Masse, die opportunistisch aktuelle und potenzielle Lücken füllt – also Bedürfnisse erfüllt und sich so von ihren Umwelten formen lässt –, sich dann verfestigt, wenn es die Umwelt zulässt, und schließlich verkrustet und effizienzgetrieben als Organisation widerständig der Umwelt ihre Grenzen aufzeigt.
2. Der Treibstoff der Organisation sind kommunizierte Entscheidungen. Mit Entscheidungen können Organisationen die Zeit neu ordnen: Sie legen Zukunft fest und verändern Vergangenheit.
3. Organisieren braucht Sinn – Organisieren erzeugt Sinn. Organum, órganon: Die Wortherkunft »Werkzeug« verweist auf einen Sinn außerhalb der Organisation selbst. Die Organisation steht vor der Herausforderung, diesen Sinn nicht zu wissen, ihn also konstruieren zu müssen. Sie erfindet im Erfolgsfall ihren Sinn und kommuniziert ihn in ihre Umwelt.
4. Organisieren kommt von organisch. Schon der Wortbedeutung folgend, dient Organisches als Werkzeug für einen Zweck. Die Organe der Organisation folgen dem autopoietischen Zweck, die Fortsetzung des sozialen Systems selbst zu gewährleisten. Dieser Zweck kann nur durch kollaborative Anstrengungen erreicht werden.
5. Organisationen sind poietisch eingebettet in eine Umweltkonstruktion von Mittel-Zweck-Relationen. Und sie sind operativ geschlossen, autopoietisch und intern ebenfalls auf der Basis von Mittel-Zweck-Relationen konstruiert.
6. Organisationen sind endlich. Sie sind, so wie ihr Sinn, in sozialer, sachlicher und zeitlicher Hinsicht begrenzt. Sie sind teleologische Konstrukte, die im Medium Sinn, getrieben von den Stürmen der Komplexität, deren Reduktion betreiben. Organisationen arbeiten nur mit Sinnhaftem und müssen Sinnloses ausschließen.
7. Organisationen sind wie Glas: Sie formen sich aus Flüssigem und verfestigen sich, sind transparent und doch undurchdringlich. Unter Energiezufuhr veränderbar, ansonsten zerbrechlich. Ein Hammerschlag zerstört sie, und Wärme macht sie formbar. Sie sind menschengemacht und dienen einem Zweck, über den die Umwelt streiten kann.
8. Im amorphen Sumpf der Beliebigkeit gestalten Organisationen Kanäle, legen trocken und machen den unwirtlichen Boden bewohnbar.
9. Organisationen sind wie Autobahnen, die Trampelpfaden folgen, die einst die Landschaft durchzogen.
10. Das Organisieren prozessiert Entscheidungen, die Prämissen für folgende Entscheidungen darstellen. Für die Mitglieder der Organisation haben dadurch entstehenden Strukturen, wie Ablauf- und Aufbauorganisation, ontologischen Charakter.
Als Metapher für den Prozess des Organisierens aus systemischer Sicht bieten sich physikalische oder chemische Prozesse an, bei denen die zweckmäßige Verfestigung, die Ausbildung von Strukturen und die Herstellung von Zuverlässigkeit oder Sicherheit im Mittelpunkt stehen. Beispiele für solche Prozesse sind die Herstellung von Papier, die Zubereitung von Grießbrei, die Verarbeitung von Beton oder auch das Aufschlagen von Sahne.
Für die Praxis
Die Organisation von Sahne
Unter sich verändernden Umweltbedingungen verändert sich flüssige Sahne: Wenn wir sie, beispielsweise mithilfe eines Schneebesens, hinreichend in Bewegung versetzen und so den Kontakt zur umgebenden Luft intensivieren, dann »organisieren« sich die Fett- und Wasserbestandteile neu. Die Fettbestandteile gehen dabei Verbindungen mit kleinsten Luftbläschen ein. Die entstehenden Fett-Luftbläschen verbinden sich miteinander und umschließen die Wassermoleküle. Die Sahne bildet erste Klümpchen, die sich immer mehr untereinander vernetzen und wird schließlich recht plötzlich steif. Die »Organisation« bildet eine deutlich sichtbare, vergleichsweise feste Struktur aus. (Die Festigkeit können Sie mit dem bekannten Test überprüfen, indem Sie das Gefäß mit der geschlagenen Sahne umdrehen – die Sahne sollte dann im Gefäß bleiben).
Die so organisierten Fett-Wasser-Luft-Bestandteile mit ihren festgefügten Strukturen und Verhaltensmustern können nun für Ihren Zweck genutzt werden.
Wenngleich die Struktur stabil wirkt, so ist sie doch empfindlich, denn wenn die Sahne nun weitergeschlagen wird, verfestigt sie sich noch mehr, wird schließlich zu Butter und ist nun in Bezug auf den bereitstehenden Erdbeerkuchen dysfunktional.
Mit Blick auf konkrete Organisationen können Sie die hier skizzierte Sahne- Metapher verwenden, um neue Perspektiven auf interne Strukturen, Veränderungsoptionen, Zwecke oder Beziehungen zur Umwelt von Organisationen zu entwickeln.
Außerdem bietet sich an, die zehn Denkanstöße anhand der Sahne- Metapher zu durchdenken: Versuchen Sie’s doch mal!
Quelle: Dieser Abschnitt ist entnommen aus:
„50 systemische Demonstrationen„